CORONA – UNSER WEG DURCH DIE KRISE
Auch uns hat die Pandemie „heimgesucht“. Im Wohnhaus in Stockerau wurden Personen mit COVID 19 infiziert.
Wir möchten Ihnen gerne „unsere“ Chronologie der Quarantäne im Wohnhaus Stockerau in dieser schwierigen Zeit näherbringen:
Am 1. Märzwochenende feierten Angehörige und BewohnerInnen im Wohnhaus Stockerau in froher Runde den Geburtstag eines Anvertrauten. Alle verhalten sich zueinander in gewohnter Weise. Es werden Hände geschüttelt, geherzt, beglückwünscht und gemeinsam Kaffee und Kuchen genossen.
3 Tage später ist alles anders. Corona hat Einzug gehalten – ein Angehöriger teilt telefonisch mit, dass er als Verdachtsfall getestet wurde und alle BesucherInnen vom Wochenende ebenfalls gefährdete Personen sind.
Unbedarft fand auch noch zu Wochenbeginn ein Teamseminar im Besprechungsraum statt. Dann erhielten wir weiters die Information, dass am Standort Oberrohrbach durch den Besuch einer infizierten Angehörigen ein Verdachtsfall vorliegt. Rasch fanden sich alle Leitungsorgane und der Betriebsrat in einer Krisensitzung zusammen, um alle Maßnahmen einer Absonderung von Betroffenen sowie behördliche und organisatorische Schritte zu besprechen und festzulegen.
Fehlende Vorkenntnisse und Erfahrungen machten Entscheidungen besonders schwierig, aber alle waren sich bewusst – nur gemeinsam kommen wir gut durch die Krise. Wie der Chef immer sagt: “Die richtigen Dinge tun, und die Dinge richtig tun!“
Das Schlimmste war nun Gewissheit. 2 BewohnerInnen und 2 MitarbeiterInnen wurden positiv getestet. Alle MitarbeiterInnen des Standortes in Stockerau wurden unter Quarantäne gestellt. MitarbeiterInnen mussten sofort den Dienstort verlassen …
Nun stellten uns die neuen Gegebenheiten vor große Herausforderungen:
– Wer ist nun da, um die Anvertrauten zu betreuen?
– Was müssen wir beachten?
– Woher bekommen wir Schutzausrüstungen?
– Wie lange kann ich 24 Std. Dienste durchgehend schaffen?
– Wie kann ich die Situation den Anvertrauten erklären?
Zwei Mitglieder des Betriebsrates sprangen spontan in die Bresche und übernahmen die erforderlichen Dienste.
1 BetreuerIn im „positiven Sektor“ mit 2 infizierten Personen 24 Stunden pro Tag und
2 BetreuerInnen abwechselnd im „negativen Sektor“ (12-Stunden-Rhythmus). Beide KollegInnen mussten nach 2 bzw. 4 Tagen selbst in häusliche Quarantäne, da einer eine Vorerkrankung nicht bedacht hatte und zusätzlich ein weiterer Anvertrauter im negativen Bereich ebenfalls positiv getestet wurde. D.h. für den 2. Bereich wurde nun auch eine 24 Stunden-Betreuung erforderlich. BetreuerInnen kamen standortübergreifend zum Einsatz und waren mehrere Tage durchgehend im Dienst.
Niemand durfte mehr das Wohnhaus betreten. Positiv getestete Personen durften ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Die BetreuerInnen in der Quarantänestation waren mit FFP 3 Masken vermummt, trugen Schürze und Handschuhe. Sie waren für die BewohnerInnen Fremde. Teilweise mussten sie telefonisch vom Stammpersonal angeleitet werden, was spezielle Bedürfnisse der BewohnerInnen betrifft. Arztbesuche entfielen komplett, die Abnahme des Spaltgipses eines Bewohners wurde zum Geduldsspiel zwischen den medizinisch Verantwortlichen und den BetreuerInnen. Eine telefonische Anweisung durch den Arzt ist der letzte Ausweg für den Kollegen, der den Spaltgips selbst abnahm. Die wöchentlichen Medikamentenspender wurden in der Tagesstätte des Standortes – einem Nachbargebäude – von einer Diplomfachkraft vorbereitet. Medikamentenboxen, Dispenser, Zubehör mussten vor jeder Übergabe an eine andere Person desinfiziert werden. Im Hof erfolgte diese Übergabe ohne direkten Kontakt zwischen MitarbeiterInnen und Diplomschwester; ausschließlich durch Blicke und Rufe wurde kommuniziert. Sogar der Müll musste in speziellen Behältern in einem eigenen Raum entsorgt werden. Eine Reinigungsfirma desinfizierte den gesamten Wohnbereich jeden 3. Tag mit Spezialausrüstung. Die Versorgung mit Essen und Gütern des täglichen Gebrauchs erfolgte durch KollegInnen über im Hof bereitgestellte Boxen.
Druck kam von allen Seiten, niemand hatte bisher Erfahrung mit dem heimtückischen und unsichtbaren Gegner. Die verschiedenen Behörden von der Sanitätsdirektion, der Sozialabteilung der NÖ Landesregierung, der Bezirkshauptmannschaft bis zur Gemeinde unterstützten uns bis in die Nacht die Infektionskette akribisch zu rekonstruieren.
Eilig wurden Empfehlungen ausgesprochen und Verhaltensregeln erlassen. Trotzdem blieben die letzten Entscheidungen und damit die Verantwortung bei der Leitung der Behindertenhilfe und den MitabreiterInnen in der Quarantäne-Wohngemeinschaft.
Zum Glück wurden noch vor einem halben Jahr die Hygienestandards neu überarbeitet und die Verhaltensregeln bei Infektionen und Seuchen in den Teams formuliert.
Plötzlich ist der über Jahre eingeübte Tages- und Lebensrhythmus gestoppt. Veränderungen mit welchen die Anvertrauten in den 27 Tagen der Isolation in Kauf nehmen mussten:
Keiner der BewohnerInnen darf mehr aus dem Haus, die positiv Getesteten nicht mehr aus dem Zimmer. Manche Anvertraute reagierten mit Trotz, verweigerten die Kooperation bis hin zum Rückzug ins Bett. Andere stellten permanent Fragen, suchten Antworten und Erklärungen, sprachen über ihre Ängste, suchten die Schuld bei sich selbst.
Die selbstlosen BetreuerInnen zeigen Mitgefühl und Verständnis, sind aber selbst im Krisenmodus. Sie brauchen viel Verhandlungsgeschick, Anpassungsfähigkeit und Achtsamkeit, um auf die Bedürfnisse in dieser außergewöhnlichen Situation eingehen zu können.
Neben Symptomkontrollen (z.B. Fiebermessen), Körperpflege und Mobilisierung mit der anstrengenden Schutzmaske musste der Haushalt unter hohen hygienischen Standards erledigt werden. Mit viel Zuversicht und Humor gestalteten die BetreuerInnen mit den Anvertrauten einen positiven und geregelten Alltag. Sie produzierten gemeinsam kleine Videobotschaften vom Leben in der Quarantäne-WG für Angehörige, Freunde und die KollegInnen.
Der Geburtstag einer Anvertrauten wurde mit musikalischen Ständchen am Fenster gefeiert.
Manfred Rossmy wünschte sich die heilige Messe zu feiern und die Kommunion zu bekommen. Sein Betreuer setzte alles daran, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Der Stockerauer Dechant schickte die Messetexte, kam sogar persönlich vorbei und „übergab“ dem Betreuer die Hostie aus notwendiger Distanz.
Die vielen Tage in der Isolation brachten nun die BewohnerInnen an die psychische Belastungsgrenze. Verzweiflung wurde hinausgeschrien, Drohungen davonzulaufen ausgesprochen. Tägliche Einzelgespräche durch das geöffnete Fenster mit vertrauten Personen und die ehrliche Darstellung der aktuellen Situation schafften Vertrauen. Die Visualisierung von Wünschen und die gemeinsame Planung von Unternehmungen nach der Absonderung gaben Hoffnung. Und trotzdem, keiner will mehr das Wort Corona und die schrecklichen Nachrichten dieser Tage hören.
Der allgemeine gesundheitliche Zustand der BewohnerInnen und BetreuerInnen hatte sich nach der Intensivphase gottlob rasch gebessert und war fortan auch stabil. Die behördliche Absonderung und die Angst, dass wieder oder immer noch ein Corona-Testergebnis positiv sein könnte, bestimmten die Tage.
Alle BetreuerInnen machen einen hochprofessionellen Job mit bewundernswertem Durch- haltevermögen. Jeder so lange er es schafft.
Auch der ORF hat über das außergewöhnliche Engagement der MitarbeiterInnen in der ZIB bzw. mit einer Reportage in „Thema“ berichtet und die Lage einer speziellen Risikogruppe in Behinderteneinrichtungen dargestellt.
Diese 27 Tage waren von der vorsichtigen Hoffnung bestimmt, dass dieser Albtraum bald ein Ende finden wird.
Dann kam endlich der Tag – die behördliche Quarantäne wurde aufgehoben.
Die BetreuerInnen mussten sich nun selbst in häusliche Quarantäne begeben und nach und nach wurde bekannt, dass sich niemand aus der Quarantänestation, mit dem Corona-Virus infiziert hatte.
Diese diffuse Bedrohung, die nicht vorhersehbar war und zur sozialen Isolation geführt hat, bleibt jedoch. Sie ist für einen Menschen mit Behinderung schwer zu begreifen.
Manche können sich nur wenige Minuten merken, dass sie sich ihre Hände desinfizieren und sich nicht ins Gesicht greifen sollen oder eine Maske richtig aufsetzen und dann auflassen sollen. Weiters gilt auch in Betreuungseinrichtungen die Regel, einen Meter Abstand zu halten. Auf Grund pflegerischer, unterstützender, aber auch emotional-menschlicher Notwendigkeiten ist diese Vorschrift in Wirklichkeit in der Begleitung von Menschen mit Behinderung nicht lückenlos umsetzbar.
Diese Herausforderungen werden uns weiterhin an allen Standorten der Behindertenhilfe begleiten.
Derzeit st die Behindertenhilfe Bezirk Korneuburg nur eingeschränkt „in Betrieb“.
D.h. die Tagesstätte in Stockerau ist geschlossen, jene Anvertrauten welche in der Tagesstätte in Oberrohrbach arbeiten, werden derzeit im Wohnhaus in Oberrohrbach betreut.